Seit 1949 schreibt das Internationale Olympische Komitee den Austragungsorten die Einrichtung eines "Olympischen Dorfs" vor ‒ wobei spätestens 1972 aufgrund der stetig gestiegenen Zahl der Teilnehmer*innen eher in den Dimensionen einer Kleinstadt gedacht werden musste. In München waren während der Spiele mehr als 10.000 Athlet*innen und Betreuer*innen unterzubringen und zu versorgen.
Sie fanden nahezu ideale Bedingungen vor. Entsprechend dem Leitmotiv der "Spiele der kurzen Wege" war das Olympische Dorf in fußläufiger Entfernung zu den zentralen Sportstätten errichtet worden. Es bestand aus zwei durch einen Zaun voneinander getrennten Bereichen: dem Olympischen Dorf der Männer und dem der Frauen.

In: Olympisches Dorf München 1972, hg. v. Organisationskomitee für die Spiele der XX. Olympiade München 1972, München 1972, S. 4

In: Olympisches Dorf München 1972, hg. v. Organisationskomitee für die Spiele der XX. Olympiade München 1972, München 1972, S. 4
Von vornherein musste das mit der Gesamtplanung beauftragte Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner die spätere Nutzung der beiden Bereiche als Studentenwohnanlage (Frauendorf) und Wohnsiedlung (Männerdorf) mitdenken. Es entstand eine moderne Planstadt, bestehend aus Hoch-, Terrassen- und Flachbauten mit rund 5.000 Wohneinheiten unterschiedlichsten Zuschnitts und einem Zentrum. Besonderes Merkmal: Die Oberfläche blieb autofrei – die Fahrstraßen wurden unter die Fußgängerebene gelegt.

Florian Peljak, Fotografie, 2020, Florian Peljak/Süddeutsche Zeitung Photo

Florian Peljak, Fotografie, 2020, Florian Peljak/Süddeutsche Zeitung Photo
War das Interesse am Wohnen in der "Betonwüste" nach den Spielen zunächst eher gering, ist das Viertel heute sehr beliebt und hat eine engagierte Bewohnerschaft.

Thomas Schumann, Fotografie, 1978, Thomas Schumann/Süddeutsche Zeitung Photo

Thomas Schumann, Fotografie, 1978, Thomas Schumann/Süddeutsche Zeitung Photo
Das Olympische Dorf der Männer
Als spätere Wohnstadt sollte für das Olympische Dorf der Männer ein zeitgemäßes architektonisches und städtebauliches Konzept entwickelt werden. Das Büro Heinle, Wischer und Partner führte zu diesem Zweck ein spezielles Optimierungsverfahren durch und bezog nicht nur externe Fachkollegen, sondern etwa auch Landschaftsplaner, Verkehrsplaner, Soziologen und Psychologen ein.
UFA-Dabei 1971
Die Errichtung der Wohnhäuser erfolgte in dichter Bebauung verteilt auf drei Wohnarme, die sich vom Zentrum aus Richtung Westen erstrecken. Prägend sind die bis zu 14-geschossigen Terrassenhäuser, deren große Pflanztröge bereits zum Einzug der Athleten bepflanzt wurden. Den Raum zwischen den Wohnarmen füllen großzügige Grün- und Freizeitflächen.

Luftaufnahme, 1976 © www.Luftbild-Bertram.de

Luftaufnahme, 1976 © www.Luftbild-Bertram.de

Unbekannt, Fotografie, 1972, IMAGO/WEREK

Unbekannt, Fotografie, 1972, IMAGO/WEREK
Für eine einfache Orientierung wurde jedem der drei Wohnarme eine bestimmte Farbe und ein Symbol zugeordnet. So ist etwa der Wohnarm C (Connollystraße) mit einer weißen Raute auf blauem Grund ausgeschildert. Zusätzlich erleichtern die von Hans Hollein entworfenen "Media Linien" die Orientierung: ein System von verschiedenfarbig gestrichenen Rohren, die das Dorf durchziehen. Es ist zugleich Kunstobjekt und funktionales Element. Konnten über die Rohre ursprünglich unterschiedliche Medien wie Ton, Licht, Wasser, warme oder kalte Luft übermittelt werden, dienen sie heute vor allem noch als Beleuchtungsträger.

Werner Schulze, Fotografie, 28.8.1972, IMAGO/Werner Schulze
Das Olympische Dorf der Frauen
Schon vor Olympia war geplant, auf dem Oberwiesenfeld eine Studentenwohnanlage zu errichten. Die Architekten Werner Wirsing und Günther Eckert hatten dafür bereits Entwürfe geliefert. Nun wurden sie beauftragt, diese an das Gesamtkonzept für das Olympische Dorf anzupassen und mit der geplanten Gestaltung des Olympiaparks abzustimmen.
Neben einem Hochhaus und einer Mensa entstanden etwa auch 800 kleine, zweigeschossige Einraum-Bungalows mit Dachterrasse und einer Gesamtfläche von jeweils 26,82 qm. Diese von Wirsing entworfenen Minihäuser entsprachen dem stärker werdenden Wunsch nach autarkeren und individuelleren Formen studentischen Wohnens. Sie wurden in Modulbauweise aus Betonfertigteilen errichtet, die auf der Baustelle in einer Feldfabrik produziert worden sind. Während der Spiele waren auf dem Areal 1.800 Athletinnen und Betreuerinnen untergebracht.

Unbekannt, Fotografie, um 1972, Architekturmuseum der TUM

Unbekannt, Fotografie, um 1972, Architekturmuseum der TUM

Unbekannt, Fotografie, um 1972, Architekturmuseum der TUM

Unbekannt, Fotografie, um 1972, Architekturmuseum der TUM

Heinz Gebhardt, Fotografie, 1980, IMAGO/Heinz Gebhardt

Heinz Gebhardt, Fotografie, 1980, IMAGO/Heinz Gebhardt
2007 mussten die inzwischen bunt bemalten und durchgrünten Minihäuser erneuert werden. Es folgten Abriss und Wiederaufbau unter der denkmalpflegerischen Auflage, die wesentlichen Charakteristika des Ensembles wie etwa die engen Gassen, die Höhe der Häuser und die unterschiedliche Länge der Bauzeilen beizubehalten. Um noch mehr studentischen Wohnraum zu schaffen, mussten allerdings der quadratische Grundriss der Bungalows aufgegeben und die Wohnfläche reduziert werden.

Christoph Stepan, Fotografie, um 2010, Architekturmuseum der TUM

Christoph Stepan, Fotografie, um 2010, Architekturmuseum der TUM
Verpflegung und Unterhaltung
Die Verpflegung der Athlet*innen erfolgte in der Mensa auf dem Gelände der späteren Studentenwohnanlage. Sie wurde für die Spiele provisorisch erweitert und mit mehreren Kücheneinheiten und Speisesälen ausgestattet. Den internationalen Gästen wurde eine eiweiß- und vitaminreiche Kost angeboten. Aus einer täglich wechselnden Auswahl verschiedener Mittags- und Abendgerichte konnten sie ihre Speisen individuell zusammenstellen. Daneben standen einzelne Kochmöglichkeiten für mitgereiste Köche zur Verfügung.

In: Olympia in München, Offizielle Dokumentation der Olympiastadt München über die Spiele der XX. Olympiade 1972, hg. v. Hans Weitpert, München o.J., S. 57

In: Olympia in München, Offizielle Dokumentation der Olympiastadt München über die Spiele der XX. Olympiade 1972, hg. v. Hans Weitpert, München o.J., S. 57
Neben der Verpflegung und Unterbringung war den Planern des Olympischen Dorfs die Einrichtung von Begegnungs- und Erholungsmöglichkeiten besonders wichtig. Im Außenbereich sorgten dafür zum Teil künstlerisch gestaltete Plätze, eine Minigolf-Anlage oder eine Freitanzfläche. Als besonders kontaktfördernd erwies sich während der Spiele die Ladenstraße. Zudem wurde ein Vergnügungszentrum eingerichtet, in dem neben Billard, Tischtennis, Spielautomaten und einem Rennwagensimulator auch ein Kino, ein Theatersaal und die Diskothek "Bavaria-Club" untergebracht waren. Das gut besuchte "Cinema Olympia" bot ein täglich wechselndes Programm mit Filmen aus 21 Ländern.

Unbekannt, Fotografie, 1972, IMAGO/Pressefoto Baumann

Unbekannt, Fotografie, 1972, IMAGO/Pressefoto Baumann

Unbekannt, Fotografie, 30.8.1972, Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo

Unbekannt, Fotografie, 30.8.1972, Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo