Im Olympiajahr 1972 betrug der Anteil der ausländischen Bevölkerung in München etwa 15 Prozent. Der anhaltende Wirtschaftsboom der 1960er Jahre und die umfangreichen Bauarbeiten für die Olympischen Spiele hatten zu einer besonders hohen Nachfrage nach Arbeitskräften geführt.
UFA-Dabei 1971 / Deutschlandspiegel 1972
Am Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs kamen wöchentlich bis zu 4.500 Arbeiter*innen aus Italien, Griechenland, der Türkei und Jugoslawien mit Sonderzügen an. Im Juni 1960 richtete das Arbeitsamt in einem aus dem Zweiten Weltkrieg erhaltenen Bunker am Gleis 11 eine "Weiterleitungsstelle" ein. Dort erhielten die Migrant*innen kleine Essenspakete und sollten auf ihre Abholung durch Münchner Firmen oder ihre Weiterreise in andere Städte warten. So zählt heute der Münchner Hauptbahnhof und das Gleis 11 zu einem der wichtigsten Erinnerungsorte deutscher Migrationsgeschichte.

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe

Anett Baumann, Fotografie, 2016, Stadtarchiv München (DE-1992-FS-STB-5004)

Anett Baumann, Fotografie, 2016, Stadtarchiv München (DE-1992-FS-STB-5004)
Schon 1970 hatte der Münchner Stadtrat das Investitionsplanungs- und Olympiaamt beauftragt, eine Grundsatzstudie zur ausländischen Bevölkerung zu erstellen. Damit trugen die Olympischen Spiele dazu bei, dass München 1972 bundesweit die erste kommunale Migrationsstudie veröffentlichte. Die darin enthaltenen, teilweise höchst umstrittenen Vorschläge für eine zeitgemäße kommunale Migrationspolitik, prägen bis heute die Stadt.
"Gleis der Hoffnung": das Gleis 11 im Münchner Hauptbahnhof
Auf dokumentarischen Fotos und eigenen Schnappschüssen posieren die Arbeiter*innen mitunter stolz vor den Wahrzeichen der "heiteren Spiele". Einer der wichtigsten Erinnerungsorte für Migrant*innen sind jedoch bis heute der Münchner Hauptbahnhof und das Gleis 11.

Unbekannt, Fotografie, 14.7.1969, Stadtarchiv München (DE-1992-FS-STB-7433)

Unbekannt, Fotografie, 14.7.1969, Stadtarchiv München (DE-1992-FS-STB-7433)
Diese Orte waren nicht nur unmittelbar mit der Ankunft in Westdeutschland verbunden, sondern blieben auch später beliebte Treffpunkte. In ihren Erinnerungen spricht mancher Zuwanderer vom "Gleis der Hoffnung" oder vom Gleis, dass wie eine "Nabelschnur nach Griechenland" führt.
Direkt vom Gleis 11 führt eine Treppe in einen unterirdischen Schutzraum. Der Bunker stammt noch aus dem Zweiten Weltkrieg und diente dem Arbeitsamt von 1961 bis 1973 als "Weiterleitungsstelle" für die ankommenden Migrant*innen. Manche der Ankommenden empfanden den Empfang dort als unwürdig. Bei anderen wiederum hinterließ die Organisation der Ankunft und Weiterleitung einen bleibenden und guten Eindruck. Seit 2011 ist am Gleis 11 eine kleine Erinnerungstafel angebracht, die an die Millionen ankommenden Migrant*innen erinnert.

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe

Felicitas Timpe, Fotografie, 1964, Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv/Felicitas Timpe
Die "Problemstudie" zur ausländischen Bevölkerung
Kurz nach der Ernennung Münchens zum Austragungsort der Olympischen Spiele 1972, richtete der Stadtrat ein Büro ein, das die damit einhergehenden Aufgaben koordinieren sollte. Die später als Stadtentwicklungsreferat bezeichnete Stelle verfasste mehrere wissenschaftliche Untersuchungen. Unter anderem die vielbeachtete, aber auch umstrittene Studie "Kommunalpolitische Aspekte des wachsenden ausländischen Bevölkerungsanteils in München – Problemstudie".


Darin wurde festgestellt, dass die damals noch als vorübergehend angenommene Migration sich verstetigte und sich München verstärkt auf Zuwanderungsprozesse einstellen müsse. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Migrant*innen betrug 1972 bereits knapp acht Jahre. Mit offenen Worten widersprach die Münchner Studie der Migrationspolitik der Bundesregierung: "Die BRD, obwohl sie kein Einwanderungsland sein will, ist faktisch ein Einwanderungsland geworden".


Die Studie kam daher zu dem Ergebnis, dass eine besondere kommunale "Integrationspolitik" nötig sei. Diese müsse Gleichberechtigung schaffen und soziale Missstände beseitigen. Als direkte Folge der Studie wurde beispielsweise 1974 der Münchner Ausländerbeirat – der heutige Migrationsbeirat – eingerichtet.