Die "heiteren Spiele" von München 1972 fanden durch die blutige Geiselnahme und den gescheiterten Befreiungsversuch der israelischen Olympiamannschaft ein abruptes Ende. Der Terroranschlag von internationaler Tragweite hat sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt und wirkt bis heute fort. Er markiert die dunkelste Stunde in der Geschichte der Olympischen Spiele und in den Beziehungen zwischen den jungen Staaten Israel und der Bundesrepublik Deutschland (BRD).
Der Überfall der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" auf die israelische Sportlermannschaft begann am 5. September 1972 im Münchner Olympiadorf in der Connollystraße 31 mit einer Geiselnahme. Ziel des Anschlags war vor allem die Freipressung von 234 palästinensischen Gefangenen aus israelischer Haft. Das Attentat endete am 6. September mit einem dilettantischen Befreiungsversuch der Polizei auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck. Alle elf Geiseln wurden bei dem Attentat ermordet und ein Polizist erschossen. Auch fünf Terroristen kamen ums Leben.

Sven Simon, Fotografie, 5.9.1972, Sven Simon/Süddeutsche Zeitung Photo

Unbekannt, Fotografie, 7.9.1972, dpa/Süddeutsche Zeitung Photo
Nach dem Anschlag forderten viele Stimmen einen vollständigen Abbruch der Olympischen Spiele. Dennoch entschied sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) für deren Fortsetzung. Nach einer Trauerfeier im Münchner Olympiastadion wurden die kurzzeitig unterbrochenen Spiele mit den Worten des IOC-Präsidenten Avery Brundage "The Games must go on" fortgeführt.

Otfried Schmidt, Fotografie, 4.9.1972, Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo

Otfried Schmidt, Fotografie, 4.9.1972, Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo


Improvisiertes Krisenmanagement
Das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972 war die erste terroristische Geiselnahme auf dem Gebiet der BRD. Die Sicherheitskräfte der bewusst als friedlich, weltoffen und "heiter" geplanten Olympischen Spiele erwiesen sich auf eine derartige Situation als völlig unzureichend vorbereitet. Entsprechend verheerend waren die Folgen des improvisierten Krisenmanagements.

Unbekannt, Fotografie, 5.9.1972, dpa/Süddeutsche Zeitung Photo

Unbekannt, Fotografie, 5.9.1972, dpa/Süddeutsche Zeitung Photo
Der erste weltweit live übertragene Terrorakt der Geschichte war ein Medienereignis. Direkt aus dem Radio und Fernsehen erfuhren allerdings nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern auch die Attentäter vom Aufmarsch der Polizei. Diese plante am Nachmittag des 5. September in Trainingsanzügen als Sportler getarnt einen Befreiungsversuch. Der Einsatz musste erfolglos abgebrochen werden, da versäumt worden war, vorher den Terroristen den Strom abzustellen und eine Nachrichtensperre zu verhängen.

Max Scheler, Fotografie, 5.9.1972, Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo

Max Scheler, Fotografie, 5.9.1972, Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo

Max Scheler, Fotografie, 1972, Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo

Max Scheler, Fotografie, 1972, Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo
UFA-Dabei 1972
UFA-Dabei 1972
Ein weiterer Befreiungsversuch folgte in der Nacht vom 5./6. September auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Dort bezogen lediglich fünf Polizisten gegen die insgesamt acht Geiselnehmer ihre Stellungen. Für die Aktion waren sie nur notdürftig vorbereitet und ausgestattet worden. Die Operation endete in einem Desaster, bei dem alle Geiseln getötet wurden.
Der schlecht geplante und katastrophal gescheiterte Befreiungsversuch der Münchner Polizei führte noch im selben Monat zur Gründung der Antiterroreinheit Grenzschutzgruppe (GSG) 9.

Unbekannt, Fotografie, 1979, dpa/Süddeutsche Zeitung Photo

Unbekannt, Fotografie, 1979, dpa/Süddeutsche Zeitung Photo
Die Folgen des Olympia-Attentats - Israel
Unmittelbar nach dem Olympia-Attentat bemühte sich die BRD vergeblich, gute Beziehungen sowohl mit Israel als auch den arabischen Staaten aufrechtzuerhalten. Nach wechselseitigen Anschuldigungen befanden sich Israel und die BRD in einem offenen diplomatischen Konflikt. Die Freipressung der in Bayern inhaftierten überlebenden Terroristen im Oktober 1972 markierte dann den Tiefpunkt der Beziehungen beider Staaten.
Der Terrorakt von München war der erschütterndste Anschlag, den Israel bis dahin erlebt hatte. Auf das Attentat reagierte die Regierung mit einer mehrjährigen Geheimdienstoperation. Während der als "Zorn Gottes" bezeichneten Unternehmung führte der israelische Geheimdienst Mossad gezielte Tötungsaktionen gegen die Mitglieder der Terrororganisation "Schwarzer September" durch. Nicht zuletzt 1973 im norwegischen Lillehammer kamen dabei auch Unschuldige zu Tode oder wurden verletzt.
Auch wenn das Organisationskomitee und die Bundesregierung unverzüglich eine Entschädigung an die Familien der Opfer zahlten, zogen sich die Gerichtsverfahren noch über 30 Jahre hin. Erst 2002 fanden diese ein Ende. Im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung entschädigte Deutschland die Hinterbliebenen mit drei Millionen Euro.
Lange Zeit war die Bundesregierung darum bemüht, jegliche Schuld am Geschehenen zurückzuweisen. Dies änderte sich, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 die Gedenkstätte "Einschnitt" in der Nähe des Tatorts eröffnete. Offiziell räumte er das Versagen der damaligen deutschen Sicherheitsbehörden in München ein.

Stephan Rumpf, Fotografie, 2017, Stephan Rumpf/Süddeutsche Zeitung Photo

Stephan Rumpf, Fotografie, 2017, Stephan Rumpf/Süddeutsche Zeitung Photo
Auch sportpolitisch ist das Olympia-Attentat bis heute von Bedeutung. So forderte Israel lange Zeit vom IOC eine angemessene Erinnerung im Rahmen der Olympischen Spiele. Unter IOC-Präsident Thomas Bach wurde bei den Spielen von Rio 2016 eine Zeremonie im Olympischen Dorf eingeführt, um der Opfer des Anschlags zu gedenken. Doch erstmals 2021 bei den Olympischen Spielen von Tokio war die schon lange geforderte Schweigeminute Teil der Eröffnungsfeier.

Nathan Danette, Fotografie, 2021, The Canadian Press/Alamy Stock Foto

Nathan Danette, Fotografie, 2021, The Canadian Press/Alamy Stock Foto
Die Folgen des Olympia-Attentats - die arabische Welt
Das Olympia-Attentat hatte die größte Ausweisungswelle von Menschen arabischer Herkunft in der Geschichte der BRD zur Folge. Dies führte zunehmend zu Protesten im In- und Ausland und dem Vorwurf einer Diskriminierung von Arabern. Viele palästinensische Organisationen wie Studentenvereinigungen und Arbeiterverbände wurden unter Generalverdacht gestellt und verboten.

Otfried Schmidt, Fotografie, 1972, Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo

Otfried Schmidt, Fotografie, 1972, Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo
An den bundesdeutschen Grenzen und Flughäfen kam es in der Folgezeit zu einer Verschärfung der Kontrollen. Die Annahme, dass palästinensische Terrorgruppen ihre Mitglieder in der gesamten arabischen Welt rekrutierten, hatte zudem die Einführung einer Visumspflicht für Staatsbürger*innen aus Libyen, Tunesien und Marokko zur Folge.
Von den acht Attentätern, die den Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft verübt hatten, überlebten drei die gescheiterte Befreiungsaktion der Münchner Polizei am 6. September 1972. Nach nur kurzer Haft in bayerischen Gefängnissen wurden sie am 29. Oktober 1972 freigepresst: im Austausch gegen die von einem palästinensischen Terrorkommando entführten Passagiere und Besatzung der Lufthansamaschine "Kiel". Zwei der Attentäter kamen später angeblich bei gezielten Tötungsaktionen des israelischen Geheimdiensts Mossad ums Leben.

Unbekannt, Fotografie, 1972, dpa/Süddeutsche Zeitung Photo

Unbekannt, Fotografie, 1972, dpa/Süddeutsche Zeitung Photo
In den arabischen Massenmedien wurden die Attentäter von München und der Anschlag gegen Israel überwiegend enthusiastisch bejubelt. Noch 2016 feierte die Fatah – die stärkste Fraktion innerhalb der "Palästinensischen Befreiungsorganisation" –, der die Terroristen des "Schwarzen Septembers" entstammten, das Massaker von München als heroischen Akt.
Seit 2021 fordern die Hinterbliebenen der beim Anschlag ermordeten israelischen Sportler von den Vereinten Nationen Schadenersatz. Die Geldsumme in Höhe von 110 Millionen Euro soll dabei von Konten kommen, die von einem UN-Gremium verwaltet werden. Es handelt sich um Guthaben, die nach dem Tod des ehemaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 weltweit eingefroren wurden. Die Verwicklung Gaddafis in das Olympia-Attentat von München 1972 ist bislang juristisch nicht bewiesen.