Die Olympischen Spiele von München 1972 verstanden sich als “heiterer“ und friedlicher Gegenentwurf zu den von den Nationalsozialisten propagandistisch aufgeladenen Spielen von Berlin 1936. Dieses Ziel spiegelte sich auch in den Planungen zum Sicherheitskonzept wider. Ein Optimum an Sicherheit bei einem Minimum an Reglementierungen und wenig sichtbare Polizeipräsenz wurden angestrebt. So entschied man sich, zur Sicherung des olympischen Geländes einen zivilen Ordnungsdienst einzusetzen.

Unbekannt, Fotografie, 1972, Polizeipräsidium München

Unbekannt, Fotografie, 1972, Polizeipräsidium München
Politische Demonstrationen wurden präventiv durch eine innerstädtische Verbotszone unterbunden. VIPs unter den erwarteten Gästen und Sportler*innen erhielten einen besonderen Schutz. Zudem untersagte die Sperrbezirksverordnung die Prostitution im Innenstadtbereich. Auf diese Weise sollte einer befürchteten „Invasion“ von Kriminellen und Sexarbeiterinnen entgegengewirkt werden. Unter dem Schlagwort „Münchner Linie“ fügten sich diese präventiven Maßnahmen in einen seit Mitte der 1960er Jahre vorgenommenen Strategiewechsel der Münchner Polizei.

Unbekannt, Fotografie, 1972, Polizeipräsidium München

Unbekannt, Fotografie, 1972, Polizeipräsidium München
Gefahren durch politisch motivierte Anschläge wurden zwar vorab mehrfach benannt und politisch extreme Gruppierungen beobachtet. Diese flossen jedoch nicht in die konkreten Vorbereitungen der Polizei ein. Mit Blick auf den Terroranschlag vom 5. September 1972 sollte sich dies als fatale Fehlentscheidung herausstellen.

Klaus Rose, Fotografie, 1972, IMAGO/Klaus Rose

Klaus Rose, Fotografie, 1972, IMAGO/Klaus Rose
Freiwilligendienst für die heiteren Spiele
Die Polizei und das Olympische Komitee hatten sich bereits 1970 darauf verständigt, auf dem olympischen Gelände einen zivilen Ordnungsdienst einzusetzen. Dieser sollte unaufdringlich und psychologisch geschult für eine friedliche Atmosphäre sorgen.
Der Ordnungsdienst trug sportliche, legere Kleidung, die sich in das Gesamtgefüge der optischen Gestaltung der Spiele einfügte. Die Einsatzkräfte waren tagsüber unbewaffnet und hatten vorrangig die Aufgabe, Einlasskontrollen durchzuführen. Sie sollten freundlich Präsenz zeigen sowie kleine Ordnungsstörungen schlichten und bei Bedarf an die Polizei übergeben.

Unbekannt, Fotografie, 1972, IMAGO/ZUMA Wire

Unbekannt, Fotografie, 1972, IMAGO/ZUMA Wire
Der Ordnungsdienst setzte sich aus rund 1.800 Mitarbeiter*innen von Polizei und Bundesgrenzschutz zusammen, die sich freiwillig für den Dienst beworben hatten. Meist handelte es sich um Freizeitsportler*innen, die für die Einsatzzeit von der polizeilichen Arbeit freigestellt waren.

In: Die Spiele, Bd 1: Die Organisation, hg. v. Organisationskomitee für die Spiele der XX. Olympiade München 1972 e.V., München 1974, S. 293

In: Die Spiele, Bd 1: Die Organisation, hg. v. Organisationskomitee für die Spiele der XX. Olympiade München 1972 e.V., München 1974, S. 293
Das Olympische Dorf fiel nicht mehr in den Sicherheitsbereich der Polizei, sondern in den des Organisationskomitees. Als sich Terroristen einer palästinensischen Terrororganisation am 5. September 1972 mit Leichtigkeit Zugang zum Olympischen Dorf verschaffen konnten, erwies sich das Konzept des zurückhaltend agierenden Ordnungsdiensts als folgenschwere Schwachstelle.

Unbekannt, Fotografie, 1972, Münchner Stadtmuseum

Unbekannt, Fotografie, 1972, Münchner Stadtmuseum
Prävention statt Eskalation
Das Handlungskonzept der Münchner Polizei erfuhr Mitte der 1960er-Jahre einen grundlegenden Wandel. Waren Ausbildung und Einsatztaktik bis dahin noch stark militärisch und von autoritären Maßnahmen der Machtdurchsetzung geprägt, markierten die „Schwabinger Krawalle“ im Juni 1962 einen Wendepunkt.

Rudi Dix, Fotografie, 1962, Stadtarchiv München (FS-NL-RD-2076-A-33)

Rudi Dix, Fotografie, 1962, Stadtarchiv München (FS-NL-RD-2076-A-33)
Nach der fünf Tage andauernden Straßenschlacht zwischen jugendlichen Münchner*innen und der Polizei geriet die Unverhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen in die Kritik. Unter dem Polizeipräsidenten Manfred Schreiber erfolgte die Einführung einer neue Einsatztaktik. Das später als „Münchner Linie“ bezeichnete Konzept, setzte auf Deeskalation und sah präventive Maßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt vor.

Rudi Dix, Fotografie, 1962, Stadtarchiv München (FS-NL-RD-2076A35)

Rudi Dix, Fotografie, 1962, Stadtarchiv München (FS-NL-RD-2076A35)
Ein psychologischer Dienst wurde eingerichtet, der kommunikative Konfliktlösungsstrategien als Alternativen zu einer konfrontativen Vorgehensweise entwickelte. Die Öffentlichkeitsarbeit erhielt eine offensive Ausrichtung. Gepaart wurden diese Elemente mit einer konsequenten Strafverfolgung und strengen, präventiven Reglementierungen.
Viele Entscheidungen im Zuge der Planungen für die Spiele 1972 lassen sich auf diese neue Strategie zurückführen. So beschloss man präventiv ein Demonstrationsverbot und die Sperrbezirksverordnung. Ein geplantes großes Popmusik-Festival wurde aus Sicherheitsgründen verhindert und auch die Spielstraße reglementiert. Nicht zuletzt die Idee eines zivilen Ordnungsdiensts auf dem olympischen Gelände lässt sich daraus ableiten.

Unbekannt, Fotografie, um 1960, Polizeipräsidium München
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Auf Grundlage des „Gesetzes zum Schutz des Olympischen Friedens“ galt während der Spiele ein Demonstrationsverbot in der Fußgängerzone sowie auf dem gesamten olympischen Gelände. Dennoch nutzten zahlreiche Gruppierungen die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, um auf ihre Anliegen hinzuweisen. Fast täglich gab es friedliche Demonstrationen.
Schon in der Planungsphase hatte sich Protest gegen die Spiele formiert. Vor allem linke Gruppierungen missbilligten Olympia als eine „imperialistische“ Leistungsschau der Nationen. Es gab satirische Protestaktionen von Gruppierungen wie dem „Anti-Olympischen Komitee“. Dieses plante eine „Gammler-Olympiade“ mit Disziplinen wie Sandburgenbauen oder Weitspucken, um ihrer Ablehnung Ausdruck zu verleihen.
Abseits dieser harmlosen Gegenbewegungen war eine Einschätzung des Grads der Radikalisierung der zahlreichen politischen Splittergruppen teilweise schwierig. Viele davon standen deshalb unter ständiger Beobachtung der Polizei.
Bei einer Demonstration am 2. September 1972 durchbrachen einigen Aktivist*innen die Absperrungen zur Demonstrations-Verbotszone am Stachus. Es kam zu einer Massenschlägerei zwischen Polizei und Demonstrierenden. Nach dem Terroranschlag am 5. September gab es zahlreiche Proteste, die die Beendigung der Spiele forderten und das Vorgehen von Organisationskomitee sowie Ordnungsorganen scharf kritisierten.
Protestplakat mit Fritz Teufel, der zeitweise Mitglied des Anti-Olympischen-Komitees war. Das Komitee ging teilweise aus der Außerparlamentarischen Opposition hervor. Sie drückten ihre Kritik an den Olympischen Spielen – für sie ein Instrument der kapitalistischen Gesellschaft – mit medienwirksamen, satirischen Aktionen aus.
Unbekannt, Plakat, um 1969 (Nachdruck 2012), Münchner Stadtmuseum
Protestplakat mit Fritz Teufel, der zeitweise Mitglied des Anti-Olympischen-Komitees war. Das Komitee ging teilweise aus der Außerparlamentarischen Opposition hervor. Sie drückten ihre Kritik an den Olympischen Spielen – für sie ein Instrument der kapitalistischen Gesellschaft – mit medienwirksamen, satirischen Aktionen aus.
Unbekannt, Plakat, um 1969 (Nachdruck 2012), Münchner Stadtmuseum
Flugblatt mit Ankündigung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zu einer Demonstration anlässlich des Antikriegstags am 1. September 1972. Viele der Demonstranten sahen in den Olympischen Spielen ein Machtinstrument der „westdeutschen Imperialisten“ und zogen Parallelen zu den nationalsozialistischen Spielen von 1936 in Berlin. Sie verstanden die Spiele als vorgegaukelte Schau für „Frieden und Völkerverständigung“ mit einem maßlosen Profitstreben.
Unbekannt, Flugblatt, 1972, MAO-Projekt
Flugblatt mit Ankündigung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zu einer Demonstration anlässlich des Antikriegstags am 1. September 1972. Viele der Demonstranten sahen in den Olympischen Spielen ein Machtinstrument der „westdeutschen Imperialisten“ und zogen Parallelen zu den nationalsozialistischen Spielen von 1936 in Berlin. Sie verstanden die Spiele als vorgegaukelte Schau für „Frieden und Völkerverständigung“ mit einem maßlosen Profitstreben.
Unbekannt, Flugblatt, 1972, MAO-Projekt
Demonstranten durchbrechen die Absperrungen am Stachus und dringen in die Bannmeile ein. Es kommt zu gewaltsamen Szenen mit der Polizei, die Presse schreibt später von der „Schlacht am Karlstor“. Es folgen teils langjährige Prozesse gegen beteiligte Demonstranten.
Unbekannt, Fotografie, 2.9.1972, Stadtarchiv München
Demonstranten durchbrechen die Absperrungen am Stachus und dringen in die Bannmeile ein. Es kommt zu gewaltsamen Szenen mit der Polizei, die Presse schreibt später von der „Schlacht am Karlstor“. Es folgen teils langjährige Prozesse gegen beteiligte Demonstranten.
Unbekannt, Fotografie, 2.9.1972, Stadtarchiv München
Demonstration vor dem Olympiastadion innerhalb der Bannmeile gegen die Weiterführung der Spiele. Nach dem tödlichen Terroranschlag auf die israelische Mannschaft forderten viele Menschen die Beendigung der Spiele.
Max Scheler, Fotografie, 1972, Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo
Demonstration vor dem Olympiastadion innerhalb der Bannmeile gegen die Weiterführung der Spiele. Nach dem tödlichen Terroranschlag auf die israelische Mannschaft forderten viele Menschen die Beendigung der Spiele.
Max Scheler, Fotografie, 1972, Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo
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Zu den Olympischen Spielen erwarteten Polizei und Stadtverwaltung einen starken Zustrom an Prostituierten und eine damit einhergehende gesteigerte Kriminalitätsrate. Der Stadtrat stimmte daraufhin im März 1972 für eine Sperrbezirksverordnung. Diese verbot Prostitution „zum Schutz des öffentlichen Anstandes und der Jugend“ in ausgewiesenen Sperrgebieten im Innenstadtbereich sowie dem Oberwiesenfeld.
Als jedoch die Polizei am 10. April 1972 das Bordell „Leierkasten“ in der Zweigstraße sowie weitere Etablissements absperrte, kam es zu turbulenten Szenen. Die Sexarbeiterinnen wehrten sich gegen das Verbot. Vor dem Haus versammelten sich Schaulustige und Kunden. Die Frauen animierten die Menge, die Absperrungen zu überwinden, lockten mit Rabatten und amüsierten mit Stripvorstellungen.
Deutschlandweit wurde belustigt vom Münchner „Dirnen-Krieg“ berichtet. Stoppen ließ sich die Verordnung dadurch nicht. Die Bordelle zogen schließlich in Wohngebiete am Stadtrand.
Bis heute gibt es die inzwischen bis weit in die Randgebiete der Stadt geltenden Sperrbezirke. Der Hit „Skandal im Sperrbezirk“ der Münchner Band Spider Murphy Gang entstand 1981 im Kontext der weiteren Verschärfung der Sperrbezirksverordnung.
Die Mitarbeiterinnen des „Leierkasten“ wehrten sich auf amüsante Weise gegen die geplante Absperrung des Bordells. Die Polizei konterte mit provokativen Aussagen wie „Wir werden die Damen aushungern!“, verzichtete aber auf ein konsequenteres Durchsetzen der Verordnung – man war sich der Pressewirkung im Vorfeld der Olympischen Spiele bewusst.
Sammy Minkoff, Fotografie, 1972, Sammy Minkoff