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München 72

München 72. Mode, Menschen und Musik

29.07.2022 bis 12.03.2023, Münchner Stadtmuseum

Die Ausstellung spürt der Vision, der Ästhetik, dem Lebensgefühl und den Erinnerungen nach, die 50 Jahre nach den Olympischen Spielen in der Stadt und der Stadtgesellschaft verblieben sind. Hierfür wurden die eigenen Sammlungen befragt und mit dem Erzählcafé "München 72" ein Forum für die Erinnerungen von Münchner*innen und Beteiligten geschaffen. So entsteht nach und nach eine Karte kollektiver Erinnerung, die zeigt, wie die Spiele den Alltag geprägt und das Stadtbild nachhaltig verändert haben. Die Erinnerung an den 5. September, als das Attentat auf die israelische Delegation die Welt erschütterte und "nichts mehr war wie zuvor", scheint in den Beiträgen immer wieder auf. Ein Bereich der Ausstellung bietet den Besucher*innen die Möglichkeit, sich mit diesem dunklen Kapitel der als so heiter geplanten Spiele auseinanderzusetzen.

In der Ausstellung und im digitalen Raum werden Fundstücke, Geschichten und Erinnerungen vorgestellt. Auch weiterhin wird gesammelt, digitalisiert, ergänzt und kommentiert.

Aus der Sammlung Mode / Textilien wird neben der Kleidung des Olympia-Personals auch die Arbeit des damals populären Pariser Modeschöpfers André Courrèges gezeigt. Er kombinierte die Farbpalette von Otl Aicher mit seinem legeren Safari-Look. Auf diese Weise schuf er einen bewusst entmilitarisierten Bekleidungsstil, der unter anderem durch einen damals provokanten Unisex-Anzug erstmals in einem offiziellen Rahmen mit der strikten visuellen Geschlechterzuordnung brach. Die Hostessen erschienen hingegen im hellblau-weißen Dirndl, das einen Kompromiss zwischen Tradition und Moderne darstellte und laut Otl Aicher "die Farben der oberbayerischen Landschaft" wiedergab.

Ergänzend zur Olympia-Kollektion zeigt die Ausstellung auch Haute Couture-Modelle von Courrèges, der mit seinen avantgardistischen Kreationen und seinen strengen geometrischen Mustern unkonventionelle Mode fern von damaligen Konventionen schuf.

Der demokratisch-partizipative Ansatz der Spiele spiegelte sich in den Eröffnungs- und Schlussfeierlichkeiten sowie im gesamten kulturellen Begleitprogramm wider. Die vom Architekten Werner Ruhnau konzipierte Spielstraße am Olympiasee sprach mit ihrer radikaldemokratischen Idee von Kunst und Öffentlichkeit ein riesiges Publikum an und beeinflusst die Kulturvermittlung bis heute. Auch die Neue Musik spielte eine große Rolle: So schuf der argentinisch-deutsche Komponist Mauricio Kagel im Auftrag der Kulturkommission der Olympischen Spiele das Stück "Exotica für sechs singende Instrumentalisten mit je mindestens zehn außereuropäischen Instrumenten". Für die Uraufführung wurden – heute nahezu undenkbar – Instrumente aus dem Bestand des Münchner Stadtmuseums entliehen. Beteiligt waren rund sechzig Schlag-, Blas- und Saiteninstrumente, vor allem aus Afrika und Südostasien. Während Teile der Kritik Kagel vorwarfen, sich eine "Gaudi auf Kosten fremder Kulturen" zu erlauben, herrscht in der Diskussion um die Komposition inzwischen weitgehend Konsens darüber, dass er genau das Gegenteil meinte: Exotica stellt den eurozentrischen Gedanken des "Außereuropäischen" in Frage und beschwört Musik als universales, archaisches und zutiefst menschliches Medium. Damit schlägt die Komposition nicht nur durch die beteiligten Instrumente, sondern auch durch ihre Intension eine Brücke zur aktuellen Debatte um koloniales Erbe in musealen Sammlungen. Das Münchner Stadtmuseum geht verantwortungsvoll und offen mit diesem Teil seiner Geschichte um und erforscht systematisch die Provenienzen seiner Bestände. Die Ausstellung zeigt ca. dreißig Instrumente und teils bisher unveröffentlichtes Bildmaterial aus dem Musik- und Kulturprogramm der Olympischen Spiele. Hörstationen lassen die Musik wieder lebendig werden. Zur Spielstraße gehörte auch alternatives Theater. Internationale Künstler*innen wurden beauftragt, sich künstlerisch mit vergangenen Ausgaben der Olympischen Spiele auseinanderzusetzen. Michael Meschke (*1931), dessen Familie während der NS-Zeit wegen der Judenverfolgung nach Schweden emigriert war, entwarf mit seinem "Marionetteatern Stockholm" ein Kasperstück mit drei simultan bespielten Kasperltheatern zum Thema „Olympia Stockholm 1912“. Meschke griff verschiedene Diskurse aus dem Jahr 1912 auf. Das 1958 von Meschke gegründete „Marionetteatern“ gehörte zur Avantgarde des internationalen alternativen Theaters der 1960er- und 1970er-Jahre. Die drei ausgestellten Stabfiguren waren bereits in der Sammlung Puppentheater / Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums. Bühne und Handpuppen sind eine Leihgabe des Scenkonstmuseet in Stockholm.

Teil des Projekts ist ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm. Hierzu gehören Konzerte (u.a. die Wiederaufführung der "Exotica" von Mauricio Kagel), Diskussionsveranstaltungen, Medienworkshops, weitere Erzählformate sowie eine Musikbaustelle, in der Künstler*innen und Besucher*innen nach dem Vorbild der olympischen Spielstraße Bild- und Klangkompositionen schaffen, die das kulturelle Erbe der Olympischen Spiele aufgreifen und neu interpretieren.